Matze

Matze ist 22 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Maxsain. Auf dem Weg zu seinem Solo-Urlaub haben wir uns an einer Autobahnraststätte ein wenig über ein Ereignis in seiner Vergangenheit unterhalten. Seitdem stottert er und betrachtet die Welt ein wenig anders. Nach einem großen Kaffee begann das kleine Interview:


Was ist damals genau passiert?
„Vor gut 15 Jahren war ich mit meinem Fahrrad einem LKW hinterher gefahren, weil ich dachte er würde uns noch einmal einen Wassertank liefern – so naiv wie man im jungen Alter ist. Er blieb am Straßenrand stehen – ist stand hinter ihm – und ohne dieses übliche Piepsen beim Rücksetzen von größeren Fahrzeugen hat er zurückgesetzt, mich übersehen und überfahren. Ohne Helm, hätte ich nicht überlebt.“

Wie ging es dann weiter?
„Soweit ich weiß, hat jemand aus der Nachbarschaft sofort den Krankenwagen alarmiert. Zunächst wurde ich unter dem LKW wach. Danach lag ich hinter dem LKW und wurde von einer Nachbarin (die Arzthelferin war) „munter gehalten“ bis schließlich der Krankenwagen eingetoffen ist. Dann ging alles sehr schnell. Ganz viele Leute waren dort, meine Kleidung wurde aufgeschnitten – mir wurden viele Fragen gestellt, was mir weh tut, wie ich heiße und wie alt ich bin. Danach bekam ich wohl eine Spritze und wurde mit dem Hubschrauber in die Uniklinik Bonn geflogen, wo ich nach 4 Tagen aus dem künstlichen Koma aufgewacht bin.“ 

Welche Verletzung hast du davon getragen?
„Meine Beine waren hier und da gebrochen, an meiner linken Schulter habe ich eine größere Narbe. Neben inneren Blutungen, einer schweren Gehirnerschütterung, einer Lungen- und Zwerchfellquetschung, war meine rechte Gesichtshälfte nicht mehr so in Takt. Neben einem abgerissenen Tränenkanal war mein Jochbein gebrochen und mein Kiefer verschoben. Zwischen meinem rechten, leicht versetzten Auge und dem Nasenbein sitzt heute noch eine Schraube, damit da nichts herunterhängt.


Als Matze nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause kam, warteten vielen Briefe von seinen Freunden auf ihn. Seine Familie war in dieser Zeit immer für ihn da. Seine Mutter verbrachte bspw. nächtelang im Krankenhaus auf einem Stuhl oder führte Matze mit dem Rollstuhl durch sein Dorf spazieren. Da er im Nachgang noch öfter operiert wurde bzw. hier und da auch an Therapien teilgenommen hat, hat er als Kind schon einiges gesehen. Das einzige was blieb sind die Narben, ein tränendes Auge, das Stottern und seine Gedanken.


Was ist dir aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis geblieben?
„Eigentlich sehr viel, doch an der Umsetzung ist es dann mal hier und da gescheitert. Natürlich erinnere ich mich noch an einige Träume als ich im Koma lag. Es teilweise sehr merkwürdig – teilweise bin ich in den Träumen gestorben, habe meine Eltern am Bett stehen sehen, aber konnte nicht reagieren. Es ist schwierig zu beschreiben. (…)
Viele Jahre erinnerte mich der Geruch von Autoabgasen an die Situation unter dem LKW, was mich immer wieder an den Unfall erinnert hat. Ich hatte aber keine Angstzustände. Es fiel mir nur lange schwer alleine zu schlafen. (…)
Ich bin nicht abergläubig, aber seit dem Unfall begleitet mich die Zahl 13 bei vielen guten aber auch schlechten Ereignissen. Von der Raumnummer im Krankenhaus, Daten zu Beziehungen bis hin zu Todesfällen und anderen Erinnerungen. Das ist schon bisschen merkwürdig.

Was fällt dir heute schwer?
„Ich weiß nicht genau, ob man das auf den Unfall beziehen kann, dennoch kann ich nur schwierig ich selbst sein. Ich denke zu viel nach und versuche Dinge zu meinen Lasten zu verändern, damit es anderen wieder besser geht. Es gibt natürlich immer eine Zeit, wo man nicht weiß wer man ist, was man macht und wieso man so ist, aber ich kann verschiedene Sachen ganz gut überblicken und steuern – glaube ich. Ich bin einfach sehr bedacht. (…) Mein Selbstbewusstsein hat sehr an meiner Sicht auf mich selbst gelitten. Sei es das Auge welches anders aussieht oder das Stottern. Ich habe mir nie so viel zugetraut und habe viel Zeit in das Verstehen von anderen investiert. Heute bin ich teilweise sehr zurückhaltend, oder spiele mit ein paar Masken herum um mich anzupassen.


Nach weiteren Stunden (als die Sonne wieder aufging) – haben wir uns entschlossen den Rest des Gesprächs privat zu halten. Vielleicht hören wir ja nochmal etwas von ihm, auf eine andere Art und Weise.

 

Überarbeitet am: 24.12.2019

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